Seit vielen Jahren schon beschäftigen wir uns mit qualitativem Wachstum. Als wir damit starteten, hatten wir gerade gute Verbindungen zu Akteuren in Investment-Banking und Merger & Akquisition. Diese Wachstums-spezialisten wollten wir sofort für unsere neue Entdeckung begeistern.

Die Enttäuschung war groß, als wir merkten, dass wir die von Kapitalwachstum begeisterten Akteure mit unseren neuen Erkenntnissen überhaupt nicht erreichen konnten. Sie ließen uns regelrecht abblitzen, und manchmal hatten wir den Eindruck, wir erschreckten sie.

Ähnliche Wirkungen hatte unsere missionarische Begeisterung für qualitatives Wachstum auf Kolleginnen und Kollegen in Coaching und Organisationsentwicklung: Sie tauchten auf höfliche Art lieber ab.

 

Geheimtipp Qualitatives Wachstum

Die Jahre vergingen, und während wir uns weiter mit dem Thema beschäftigten, verstanden wir auch mehr und mehr, wieso Gesprächspartnerinnen und -partner dafür nicht zu begeistern waren: Qualitatives Wachstum sieht ziemlich anstrengend aus, wenn man in quantitativen Betrachtungen verwurzelt ist. Quantitative Effekte sind zählbar und linear zu erfassen. Qualitative Veränderungen dagegen kommen auch durch Nicht-Lineares und in mehreren Dimensionen gleichzeitig zustande. Sie haben deshalb etwas Fließendes in sich. Das braucht die Akzeptanz sehr anderer „Spielregeln“. Wer sich lieber linear orientiert, findet in nicht-linearen Sichtweisen keine Sicherheit.

Und dennoch ist unsere Begeisterung für das Thema ungebrochen.

Qualitatives Wachstum: was ist das?

Qualitatives Wachstum: was ist das?

Beginnen wir die Antwort mit der Wirkung, die es hat: Es ermöglicht, heute etwas zu können, das gestern noch unmöglich schien. Also eine Art Quantensprung, eine qualitative Veränderung hin zu etwas Besserem. Auf lineare Weise zählen kann man es in der Regel nicht – jedenfalls nicht in Kategorien von Menge oder Größe oder Geschwindigkeit. Aber man kann es spüren.

Der zweite Teil der Antwort liegt darin, wie qualitatives Wachstum zustande kommt. Wir sehen es als Ergebnis erfolgreichen Arbeitens mit Hindernissen, Blockaden, Konflikten, Blindspots.

Man nutzt alle Mittel, die zur Verfügung stehen, lineare und vor allem auch nicht-lineare. Und irgendwann versteht man etwas, das bis dahin unverständlich war, kann einen gänzlich anderen Weg einschlagen und zu völlig neuen Ergebnissen kommen. Auch das Erschließen von Potenzialen ist eine Form qualitativen Wachstums – von etwas Abschied zu nehmen, ebenfalls. Der Wachstumsprozess sendet Führungssignale, denen man folgen kann. Sie vor allem sind eher nicht-linear: Intuition, Empfindungen, Träume, Körpersymptome …

Qualitatives Wachstum: was ist das?

Ein weiterer Teil der Antwort auf die Frage „Was ist qualitatives Wachstum?“ liegt in der Herkunft des Phänomens: Die Idee, siehe auch Wikipedia, kam aus dem Widerspruch gegen die jahrzehntelang gepflegte quantitativ messbare Wachstums-„Pflicht“, die allem wirtschaftlich erfolgreichen Handeln auferlegt war. Aus diesem Denkansatz heraus wünschte man sich etwas „Qualitatives“ als Gegenpol zum Quantitativen. In Wachstumsüberlegungen sollten bereichernde Elemente wie Vielfalt, Nachhaltigkeit, Ausdifferenzierung etc. ebenfalls berücksichtigt und in den Vordergrund gebracht werden.

Hmmh: Schon vorher zu wissen, was qualitatives Wachstum alles gewährleisten „soll“, ist eine naheliegende, aber zweitbeste Idee. Denn dann wird aus dem Begriff ein schwerbeladenes Kamel, auf dem man durch die Wüste reiten will.

Die Sicherheit des Linearen und Quantitativen

Die Sicherheit des Linearen und Quantitativen

 

Eins bleibt sicher: Lineare Sichten werden weiterhin gebraucht, denn sie geben Sicherheit und schaffen Zuverlässigkeit. Die werden gebraucht, um definierte Routinen, Strukturen und Prozesse zu entwickeln und kontrolliert ablaufen zu lassen.

Es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, auf Chaos mit Strukturen zu antworten. Man baut alles aufeinander auf und verbindet es mit einer Eins-plus-eins-Logik. So entstehen Sicherheit und Berechenbarkeit – und auch die Freude, erklären zu können, warum alles so ist, wie es ist. Zählbar, wiederholbar, verlässlich.

Unser ganzer Alltag und der technische Fortschritt (außer den Quanten-Computern) ruht auf diesem linearen Paradigma. Man sollte es also ehren und achten.

Und dann vielleicht offen sein für die Frage: „Was aber ist mit alldem, das nicht in diese kausalen Zusammenhänge passt, aber dennoch existiert und unbestreitbar mitwirkt?“

Zugang zu Nicht-Linearem: alle haben ihn

Eine Zugangsfrage zu Nicht-Linearem könnte sein: „Wozu passiert das hier gerade?“ Man stellt sie am besten aus einer Position von Nicht-Wissen: neugierig, offen, bereit, etwas zu empfangen und zu entfalten. Vielleicht sogar ein wenig naiv anmutend: „Gibt es hier etwas zu entdecken, das ich noch nicht kenne? Etwas, das da ist und auch für mich passen könnte, das ich aber bisher nicht wahrnehmen kann?“

Wenn man als Fragende oder Fragender zu einer solchen Position kommen kann, ist Nicht-Wissen kein Makel mehr. Und man spart sich ablehnende Aussagen wie „es kann doch nicht sein, dass …“ oder „das war nur Zufall“ oder „das kann man nicht erklären“.

Stattdessen ist man auf einem Weg, der offen dafür ist, Geschehen auch auf parallel ablaufenden Ebenen wahrzunehmen. Auf Ebenen, die ganz eigene Sichtweisen, Spielregeln und Logiken haben. Wenn man da aufmerksam sieht, hört und spürt, kommt man in tiefere Räume: „Aha!“.

Sinn erschließt sich, an dem man sich orientieren kann. Man kann sich dem Leben zuwenden, so wie es ist, und sich ihm anvertrauen.

Dass sich dadurch etwas verändert, merkt man daran, dass man anders „drauf“ ist. Sollte man es selbst nicht bemerken, so kann man es an der Wirkung ablesen, die man bei anderen auslöst. „Aha?“. Man ist qualitativ gewachsen.

Zugang zu Nicht-Linearem: alle haben ihn

Das Spiel von Linear und Nicht-Linear

Das Spiel von Linear und Nicht-Linear

Wenn es also um qualitatives Wachstum geht, müssten Hindernisse, Blockaden, Konflikte, Schwellen, Unsicherheiten etc. hoch-willkommen sein. Denn an diesen Orten gibt es ordentlich Energie – Spannungsenergie.

Allerdings sind es auch Orte, die man im Standardbetrieb meidet. Zu Recht, denn man fürchtet, friedliches Miteinander, geschmeidige Abläufe und Effizienz könnten ins Stolpern kommen.

Da qualitatives Wachstum eher nicht zum Standardbetrieb gehört, lohnt es sich aber, es bewusst mitschwingen zu lassen und für möglich zu halten.

Am besten entscheidet man sich dafür, Lineares und Nicht-Lineares gleichwertig zu behandeln, denn beides steht grundsätzlich immer zur Verfügung. Praktisch könnte es so gehen:

1. Man schafft spürbare Sicherheit, um nicht-linear arbeiten zu können. Der klassische Ansatz dafür ist das Arbeiten im Kreisformat: Sicherer Umgang mit Beginn und Ende. Respekt für alle verschiedenen Sichtweisen. Zunächst alle Positionen ohne Bewertung nebeneinander-stellen.

2. Ergebnisse aus dem nicht-linearen Raum transportiert man behutsam in die Alltagsrealität. Wohl wissend, dass ihre Essenz-Kräfte sich dort vielfältig einbauen lassen. Falls die Ergebnisse nicht sofort stimmen, ist das ein Signal, nochmal anders zu denken. Und nicht ein Signal, die Essenz-Botschaft in Zweifel zu ziehen.

3. Man schafft großzügige und verlässliche Rahmenbedingungen, die kontinuierliches Lernen ermöglichen. Sie geben auf diesen nicht immer geraden Wegen den Akteuren die nötige Sicherheit, um selbstverantwortlich zu agieren.

4. Man pflegt bewusst die Kunst, sich in verschiedenen Wahrnehmungsebenen bewegen zu können und ermöglicht dies auch anderen.

Und schließlich: Ein Effekt des gleichberechtigten Umgehens mit Linearem und Nicht-Linearem ist, dass es immer wieder ganz besondere Momente gibt: Man spürt Erfüllung, das Glück des Funktionierens. Und wenn man irgendwann zurückblickt, sieht man es: dass man inzwischen so einiges kann, von dem man früher keine Ahnung hatte.

Selbstcoaching für wirksames Führen: Sich mit qualitativen Wachstum anfreunden