Nachfolge: wenn es um alles geht
„Ich würde ja aufhören, aber wie soll das gehen? Der Laden läuft, weil ich ihn am Laufen halte. Jeder macht seine Arbeit, aber keiner kuckt über seinen Tellerrand. Keiner weiß, was ich alles weiß. Und das Schlimmste: es ist ihnen auch egal, sie interessieren sich einfach nicht dafür. Es müsste noch so viel getan werden, damit ich wirklich an einen Nachfolger übergeben könnte. Zur Zeit ist das unmöglich. Ich glaube, alle sollten wissen, dass ich hier weiter die Verantwortung trage, weil es ohne mich gar nicht geht.“
(Gründer und Vorstand eines mittelständischen Unternehmens)
Kommen und Gehen
Die eine grundlegende Herausforderung für die übergebende Person ist natürlich das Loslassen. Die andere, oft unterschätzte, ist das Bejahen der Zukunft. Wann hatte man zuletzt so unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten vor sich? Der Blick zurück auf die vergangenen Jahre erfüllt in dieser Situation vielleicht eher mit Wehmut als mit Stolz. Diese Trauer muss angenommen werden, aufkommender Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung ebenso, aber beides muss unbedingt voneinander getrennt werden.
Die große Aufgabe für die nachfolgende Person ist es, die neue Verantwortung in Empfang zu nehmen und zu bejahen. Auch hier können sich Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung melden, und auch hier gehören sie dazu – und müssen auch hier getrennt bearbeitet werden. Was häufig unterschätzt wird: Das eigene Wohl muss ebenso im Fokus sein wie das der übrigen Beteiligten. Besser, man fühlt sich nicht von den Umständen zu einem Opfer gezwungen, um jemanden zu retten.
Die große Aufgabe für beide: aufkommenden Wettbewerb immer wieder auflösen. Wozu? Wettbewerb schluckt und fokussiert Energie, die eigentlich für die Integration von Essentiellem gebraucht wird. Um dahin zu kommen, braucht es Bereinigungs- und Entschlackungsprozesse, und zwar auf beiden Seiten.
Transparenz & Vertrauen
Wie soll man vertrauen, wenn man fürchtet, die andere Seite wolle einen über den Tisch ziehen? Eigene Überlegungen und Beweggründe offenzulegen, wäre dann ja wohl fahrlässig, oder? So bleiben die inneren Widerstände, die Zweifel, Konflikte, Ängste, Hilflosigkeit, das Zaudern oder auch die Schuldgefühle unausgesprochen und ungelöst. Wenn die Akteure miteinander verwandt sind – besonders als Eltern und Kinder – kommen noch zusätzlich die Kräfte ins Spiel, die sich aus einer langen gemeinsamen Vergangenheit ergeben. Das alles anzusprechen, fällt schwer, und so bleibt oft jede/r für sich. Zu Recht bekommen deshalb juristische und steuerliche Berater das Wort, die ein Vertragswerk aushandeln, mit dessen Hilfe man vor allem Schaden vermeiden möchte. Es lohnt sich aber in diesen Situationen immer zu prüfen, ob es nicht auch Punkte gibt, die einer anderen Art von Klärung bedürfen.
Zwei Existenzgründungen
Ein Nachfolgeprozess gründet zwei neue Existenzen. Nicht verwunderlich, dass er dabei alle Beteiligten extrem fordert: professionell und persönlich, strategisch und emotional, seelisch und körperlich. „Eigentlich“ müsste er für Orientierung sorgen (auch in der Belegschaft!) und in einer unsicheren Phase Sicherheit vermitteln. Aber er ist auch ein Abenteuerweg, dem hin und wieder etwas Abenteuerlust gut tut.
Kein Nachfolgeprozess ist wie der andere, aber man muss zu den Basics kommen: als erstes dazu, einen seelischen Prozessweg gehen zu wollen. Dazu gehört auch die Entscheidung, wen man dabei an seiner Seite haben möchte. Man braucht Unterstützer, die Sicherheit geben, damit man experimentieren kann.
Als zweites muss man gehen und sich dabei führen lassen. Und zwar von Signalen, die einem auf einem seelischen Prozessweg begegnen. Dieser Weg hat immer mit dem Zugang zu Glück und Erfüllung zu tun.
Als drittes sollte man im Bewusstsein halten, dass es viele Menschen gibt, denen man selbst viel bedeutet. Vermutlich sogar deutlich mehr, als man denkt. Man kann gewiss sein, dass sich auch diesen Menschen neue Möglichkeiten öffnen – auf nicht vorhersagbare Weise.
Klare Signale
Klare Signale sind wichtig, um klare Strukturen zu generieren. Je mehr die Umgebung weiß, woran sie ist, desto besser kann sie unterstützen. Und sie wird unterstützen, denn sie ist am eigenen Überleben interessiert. Sinnvoll ist auch ein Übergabe-Ritual, wenn es so weit ist. Es macht die Größe der Veränderung erlebbar, verabschiedet die Vergangenheit und begrüßt die Zukunft. Wenn man hingegen sagt (oder denkt) „Eigentlich ändert sich nicht viel, wir machen erstmal so weiter wie bisher“, hat man diesen Moment verpasst. Er wird später nicht mehr kommen.