Erwartungen nötig oder Offenheit möglich?
Newsletter | September 2013
Ein wichtiger Teil unseres Jobs ist es, mit Kunden zusammen an Dingen zu arbeiten, die sich entfalten und entwickeln, oder die sich verabschieden möchten. Das hat immer etwas Aufregendes und Prickelndes. Dann tauchen plötzlich Erwartungen auf. Sie sind wie der Gürtel an einer Hose: halten etwas fest zusammen und sorgen dafür, dass alles an seinem Platz bleibt. Auf der anderen Seite sind sie unter Umständen dem freien Atmen im Weg und schränken die Entfaltung ein. Frank Michael Orthey beschäftigt sich mit dem Thema Führen und sagt in seinem Buch direkt zu Beginn: „Erwartungen, dass Führung stattfindet, sind verbunden mit einer Skepsis bezüglich ihres Gelingens.“ Da tut sich ein interessantes Spannungsfeld rund um Erwartungen auf: wünscht man sich, dass sie erfüllt werden, oder wünscht man sich das Gegenteil? Und wann misst man, ob sie erfüllt sind oder nicht?
Erwartungen haben eine Tendenz zu Kontrolle
Ob man Gäste erwartet, die Heimkehr eines geliebten Menschen, den Steuerbescheid, ein besonders schlechtes oder ein besonders gutes Jahresergebnis: immer verknüpft man damit etwas bereits Bekanntes. Etwas Angenehmes oder etwas Unangenehmes. „Ich habe es nicht anders erwartet“ ist ein Satz, der in vielen Fällen mit etwas Negativem verbunden wird, das eher runterzieht.
Übersetzen kann man ihn zum Beispiel so: „Nun schnappen Sie mal nicht gleich über vor Stolz, mit weniger hätten Sie nämlich gar nicht erst zu kommen brauchen!“ Dabei hatte man gerade einen Erfolg gemeldet. Auch diese Variante ist nicht angenehm: „Ich habe sowieso erwartet, dass das in die Hose gehen würde!“ Vielleicht sogar noch etwas blöder, denn man könnte sich dabei so fühlen, als wäre man in eine Falle gegangen. Zumindest aber wird einem hier nichts zugetraut. Mist. Wie man es auch dreht und wendet, mit dieser Art von Erwartung konfrontiert, sitzt man fest. Kann keinen Schritt allein machen und keine Leistung bringen, die Aussicht darauf hätte, gewürdigt zu werden
Erwartungen haben eine Tendenz, Freude zu zerstören
Wohl wissend, dass es auch andere, weniger unangenehme Formen gibt, wollen wir uns hier mit diesem Verständnis von Erwartungen beschäftigen. Die können auch so klingen: „Ich erwarte Ihre Entschuldigung“ oder „Ich erwarte von diesem Meeting, dass alle endlich einsehen, …“
Eine so erzwungene Entschuldigung schürt Rachedurst statt Erleichterung, und am Ende des Meetings wird man finden, dass es wieder nicht geklappt hat – womit man recht hatte, denn genau das hatte man vorhergesagt. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das schaffen“: was so einfach und harmlos klingt, verdeckt wahrscheinlich die Stimmen von Gespensterpositionen, die so etwas sagen wie: „ich fürchte, dass das gar nicht zu schaffen ist“, oder „ich fürchte, dass Sie das nicht können“, oder „ich habe so schlechte Erfahrungen mit Ihnen gemacht, dass das jetzt Ihre allerletzte Chance ist“. Das Irritierende und Bedrohliche dieser Gespenster führt dazu, dass Freude und Begeisterung keinen Zündfunken bekommen.
Erwartungen machen tendenziell passiv
Wer Erwartungen formuliert, erwartet tendenziell auch, dass andere sch anzustrengen haben und nicht er oder sie selbst. Alle sollen sich bewegen, damit man selbst bleiben kann, wo man ist. Diese Passivität wirkt allerdings auch ansteckend auf die, die sich eigentlich bewegen sollen.
Neue und andere Ergebnisse, kreatives Zusammenarbeiten, Zufriedenheit und Erfolgserlebnisse haben es schwer, Lähmung und depressive Zustände aller Art haben es leicht. Und hat sich eine solche Kultur erst einmal etabliert, sitzt sie ziemlich fest, und viele finden darin ihre Nischen, in denen sie überleben können. Veränderungen können dann mit großen Schmerzen und Verlusten verbunden sein.
Offenheit ermöglichen
Wir schlagen vor, das, was man möchte, aus anderen Haltungen entstehen zu lassen als aus Erwartungen.
Gute Erfahrungen kann man zum Beispiel damit machen,
- Wünsche zu äußern,
- saubere Ziele zu formulieren,
- zu Beginn eines Meetings Hoffnungen und Befürchtungen zu äußern,
- Intentionen zu nennen,
- wo immer es möglich ist, offen für neue und ungeahnte Ergebnisse zu sein.
Und das alles in Verbindung mit einer Haltung, in der Verletzlichkeit, Lebendigkeit und Neugier willkommen sind.