Erfahrung – Blindspots – klare Sicht
Newsletter | März 2014
Erfahrung bewährt sich in vielen Lebenssituationen. Ob Führungsposition in einem Unternehmen oder das Leben mit Familie und Kindern – wenn man aus Erfahrung weiß, was zu tun ist, fühlt man sich sicher.
Langjährige Erfahrung kann allerdings manchmal auch im Weg stehen. Das Leben auf dieser Welt ist vielfältig, vor allem auch dann, wenn es um Probleme und Störungen geht. Deren Vielfalt ist unerschöpflich, und man kann mit seinen Erfahrungen schnell an Grenzen stoßen.
Da, wo Vielfalt auf Erfahrung trifft, entsteht ein idealer Nährboden für Blindspots: Man denkt zum Beispiel, alles sei klar, stellt dann aber fest, dass für niemanden irgendwas klar ist. Man wird nicht verstanden, man selbst versteht auch die anderen nicht.
Mancher, der in der Öffentlichkeit gern als sauber, grundehrlich und fair wahrgenommen werden möchte, wirkt vielleicht auf andere wie das krasse Gegenteil.
Das kann ungeheuer verlangsamen, manchmal sogar Lebensqualität kosten. Wer schneller werden möchte, könnte trainieren, Blindspots für möglich zu halten.
Wie zeigen sich Blindspots, und was kann man mit ihnen tun?
Wut und Frust: klare Anzeichen eines Blindspots
Blindspots gibt es in fast allen Beziehungen. Die folgende Geschichte mag als Beispiel dienen.
Ein Berater bekommt eine Kundenanfrage, über die er sich freut. Der Kunde wünscht sich Beistand für einen komplexen Veränderungsprozess – jemanden, der nicht in innere Abläufe des Unternehmens eingebunden ist und den Überblick bewahren kann. Die Abmachung: ein gemeinsames Vorbereitungstreffen und dann die Gestaltung einer Reihe von Konferenzen.
Was so klar schien, verändert sich seltsam. Der Termin zur Vorbereitung steht immer wieder in Frage, so dass der Berater nicht mehr sicher ist, ob er ihn wirklich als reserviert behandeln soll. Er entscheidet sich für Abwarten und rechnet gleichzeitig noch mit einer Absage in letzter Sekunde. Schließlich
läuft aber doch noch alles nach Plan, das Treffen ist ein Erfolg, und der Kunde bittet darum, die nötigen Vorbereitungen für die Konferenzplanung zu treffen. Schon am nächsten Tag lässt er allerdings anrufen, um den Prozess zu stoppen und mitzuteilen, man wolle doch auf externe Unterstützung verzichten.
So langsam geht dem Berater die Lust verloren. Er fühlt sich hingehalten, nicht ernst genommen, ausgenutzt. Er fragt sich, warum er eigentlich noch nicht abgesprungen ist. (Eine ehrliche Antwort auf diese Frage könnte ihn bereits einen Blindspot erkennen lassen.)
Der Blindspot: Sicherheit anbieten
Wut und Frust machen sich nun breit. Der Berater spürt, dass er bei seinem Kunden durchaus Verbündete hat, die ihn im Spiel halten und versuchen, so offen wie möglich zu sein. Im Hintergrund scheint jedoch noch etwas anderes abzulaufen.
Je deutlicher der Berater die Unterstützer an seiner Seite spürt, desto mehr kann er sich mit seiner Wut und Trauer beschäftigen. Das führt ihn zu der Erkenntnis, dass sein Kunde Sicherheit sucht, weil er sich etwas Neuem stellen will. Um dem Kunden zu helfen, muss er also Sicherheit anbieten können. Das ist mit der Wut in seinem Bauch unmöglich. Die wichtigen Fragen nach dem Bedürfnis des Kunden, nach möglichst hilfreichen Impulsen, die er selbst geben könnte, sind kaum zu bearbeiten. Seine eigene Wut und Unsicherheit sind im Weg. So wird er dem Kunden nicht helfen können.
Blindspots verdecken das Hier und Jetzt
Der Berater merkt, dass er nicht mehr mit seinem Kunden im Dialog ist, sondern mit sich selbst. Das ist der Kern von Blindspots: Sie verstellen die Sicht auf das, worum es jetzt in diesem Augenblick geht: welche Arbeit zu tun ist und wo Verbündete sind, die als solche
auch wahrgenommen werden wollen. Stattdessen: Jemand anderes soll endlich etwas Bestimmtes tun, man wartet darauf, dass endlich etwas passiert, dass die anderen ihre Fehler erkennen …
Also: wahrnehmen, was man selbst anzubieten oder zu tun hat, das jetzt in diesem Moment gebraucht wird. Im Fall unseres Beraters: er stellt fest, dass das Miteinander mit seinem Kunden noch nicht weit genug entwickelt ist. Oft genug hat er bereits erlebt, welche Tragweite und Wirkung seine Arbeit auf längere Sicht entwickelt. Das braucht Sicherheit in Form einer tiefen Verbindlichkeit im Miteinander mit dem Kunden. Denn wenn dieser Rahmen fehlt, kann die große Wirksamkeit sogar zu einer Gefahr werden.
Bei aufrichtiger Betrachtung gesteht der Berater sich ein, nur den Auftrag gesehen und den Rahmen ignoriert zu haben. Er weiß, dass seine Gesprächspartner in der Regel Zeit brauchen, um ihre Eindrücke zu verarbeiten und weitergehende Entscheidungen zu treffen. Hier war die Zeit dafür viel zu kurz, und es gibt es noch keine feste gemeinsame Basis. Nach seinen eigenen Standards ist der Berater daher noch gar nicht in der Situation, in der er einen Auftrag annehmen darf.
Voraussetzungen sind nötig, damit seine Arbeit auf fruchtbaren Boden fällt. Und es ist seine Aufgabe, für diese Voraussetzungen Sorge zu tragen. Wenn er das versäumt (zum Beispiel, indem er nicht auf die nötigen Voraussetzungen hinweist), ist es für beide Seiten besser, wenn der Kunde (noch) nicht mit ihm zusammenarbeiten möchte.
Blind Spots auflösen: sie wahrnehmen, Spielraum gewinnen, das Geschehen akzeptieren
Das ist nicht einfach, wenn man wütend und bedürftig ist. Mit einem unbearbeiteten Blindspot dreht man Endlosschleifen und arbeitet sich langsam daran ab. Erst wenn man die eigene Bedürftigkeit wahrnimmt und sie akzeptiert, kann man auch die übrigen Beteiligten mit ihren Bedürfnissen deutlicher wahrnehmen. Und dann nimmt man schnell Fahrt auf, denn jetzt erkennt man, was wirklich Sache ist. Man gewinnt neuen Spielraum und kann Verantwortung für das aktuelle Geschehen übernehmen.
Klingt leicht, ist schwierig, aber nicht unmöglich.