Langsamkeit und Flow
Newsletter | Februar 2014
In vielen Situationen ist es gut, wirklich schnell zu sein. In Notfällen zum Beispiel, die schnelles Reagieren erfordern. Manchmal sind auch besonders viele Aufgaben auf einmal zu erledigen, und eine drastische Steigerung des eigenen Arbeitstempos wäre eine wirkliche Hilfe. Da geht es dann um eine andere Art von Schnelligkeit. Die wenigsten von uns hätten wohl auch etwas dagegen, wenn Kollegen, Chefs und Mitarbeiter wenigstens ab und zu etwas schneller arbeiten würden.
Aber was ist das: wirklich schnell sein? Wo hört die Langsamkeit auf, und wo beginnt sie wieder? Gibt es Grenzen der Schnelligkeit? Und wie kann man wirklich schnell sein? Was ist dazu nötig?
Auf den ersten Blick: Präsenz, Routine, schnelles Auffassungsvermögen, Sinn für Angemessenheit, Offenheit, Kreativität und sicher noch einiges mehr.
Muss man beim Arbeiten Geschwindigkeitsrekorde aufstellen – und sie beim nächsten Mal schon wieder brechen? Wie erreicht man die genau richtige Geschwindigkeit? Zu einigen dieser Fragen ist uns etwas ein- oder aufgefallen.
Die Schnelligkeit des Einen kann Langsamkeit für den Anderen bringen
Die Kassen bei Aldi in Deutschland gelten vielen Menschen als Referenz, wenn es um wirkliche Geschwindigkeit geht. In Windeseile ziehen die Kassiererinnen die Waren über den Scanner und erwarten, dass die Kunden ihre Einkäufe mindestens genauso schnell im Einkaufswagen, der Tasche oder sonstwo verstauen, damit Platz für den nächsten Kunden ist. Wer gerne geschickt und durchdacht einpacken oder stapeln will (in Köln heißt das „stiwweln“), hat schlechte Karten. Der Kunde hat keine andere Wahl, als mit diesem rasenden Tempo zu gehen, seine Waren blitzschnell in den Einkaufswagen zu werfen und aus der Kassenzone zu verschwinden. Danach kann oder muss noch einmal umgepackt werden, in Taschen, Kartons, oder direkt in den Kofferraum. Die Schnelligkeit der Kasse macht den Kunden etwas langsamer.
Im Team: Schnelligkeit durch Verlangsamung
Wer in einem Teammeeting, das von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten geprägt ist, versucht, so schnell wie möglich ein Projekt durchzudrücken, mag vielleicht manchmal kurzfristig erfolgreich sein. Langfristig fruchtbare Zusammenarbeit wird dann allerdings eher nicht entstehen. Wahrscheinlicher ist, dass die Konflikte sich zunehmend festfahren. Die Basis, auf der zusammengearbeitet wird, braucht Aufmerksamkeit. Ungeklärtes muss auf den Tisch, bevor das offizielle Thema angegangen werden kann. Versucht man das aus Zeitgründen zu überspringen, verliert man das Team, und alles geht noch langsamer. Im Zusammenarbeiten liegen vielleicht die größten Potenziale für Geschwindigkeit. Je geschmeidiger das Team zusammenspielt, je weniger ungeklärte Probleme das Miteinander belasten, desto leichter kann das Arbeiten Fahrt aufnehmen. Die Forderung nach mehr Tempo kann da wenig ausrichten. Und die eigene Angst, zu langsam zu sein, wirkt sich auch eher als Blockade aus.
Im Rennen: das Üben war vorher
Auf der Rennpiste ist Schnelligkeit das oberste Ziel – ebenso wie im OP bei einer lebensrettenden Notoperation. Sehr schnell kann man auch auf der E-Gitarre sein: bei Großmeistern wie Eddie van Halen oder Joe Satriani ist es teilweise furchterregend. In allen Fällen ist aber vorheriges langsames Üben nötig, um nicht aus der Kurve zu fliegen oder irreversible Fehler zu machen. Selbst die Großmeister empfehlen eindringlich, ganz langsam anzufangen – auch wenn man sich das bei Stücken wie Eruption von Van Halen kaum vorstellen kann. Was schnell sein soll, muss also zuerst einmal den Weg über die Langsamkeit gehen: Man muss kontinuierlich üben, um wirkliche
Schnelligkeit zu erreichen. Was in der Langsamkeit präzise funktioniert, wird früher oder später auch richtig schnell funktionieren – und dabei seine Präzision behalten. Die höchstmögliche Geschwindigkeit ist wahrscheinlich die, die es erlaubt, immer noch sauber und sicher zu arbeiten. Das wäre dann wirklich sehr schnell. Währenddessen zu überlegen, ob man gerade schnell ist, würde wahrscheinlich verlangsamend wirken. Es ist nicht so einfach, langsam und geduldig auch kleinste Veränderungen wahrzunehmen; vielleicht ist es sogar eine Art von Kunst. Wer ein Instrument spielt, weiß davon ein Lied zu singen: „Üben hilft – leider-„
Wirklich schnell sein: mit dem Flow gehen und die Feldkräfte nutzen
Jedes Geschehen hat einen eigenen Rhythmus. Um schnell zu sein, muss man den richtigen Moment erwischen. Wenn man wahrnehmen kann, dass hier und jetzt wirkliche Schnelligkeit nötig ist, und sich außerdem in der Lage sieht, diese Schnelligkeit zu bedienen, kann man den Moment nutzen und sehr leicht sehr schnell sein. Man ist im Flow. Man nutzt die Kräfte des Feldes, in dem man agiert.
Je besser man die eigenen Möglichkeiten, die der Aufgabe und die des Teams kennt, desto leichter kann man den Flow in Geschwindigkeit umsetzen. In einem Teammeeting kann dann sehr schnell sehr viel erreicht werden (wir würden unbedingt empfehlen, dabei im Kreis zu arbeiten).
Ein Indikator für Schnelligkeit: alle haben das Gefühl, etwas erreicht zu haben, und fühlen sich wohl damit. Und jeder weiß: ohne die Mitwirkung der anderen wäre es nicht zustandegekommen.
Wenn man solche Schnelligkeit erlebt, denkt man nicht mehr über das Tempo nach. Schnell ist, wenn sich das enfalten kann, was sich entfalten möchte – zum Besten aller Beteiligten. Dann lassen sich auch Störungs- und Widerstandspotenziale auflösen und in Wachstum und Tempo umwandeln. Manchmal muss man auch sich selbst aus der Bahn nehmen, um den Prozess nicht zu stören.