Radikal anders oder fokussiert anders?

Newsletter  |  Januar 2015

Radikalität ist ein Begriff, den man derzeit täglich liest oder hört. Eine Bedeutung, die fast immer mitschwingt: das „radikal Andere“.

Man könnte glauben, dass Radikalisierung oder Radikales im Unternehmenskontext keine Rolle spielte – wäre da nicht hin und wieder die Ankündigung zu hören, man wolle ab jetzt, ab nächster Woche oder in diesem Jahr alles „radikal anders“ machen.

Ein Unterton ist da zu hören, in dem mitschwingt, man werde „keine Rücksichten mehr“ nehmen (tat man es bisher?) – nicht auf Traditionen, Bewährtes, Nebensächliches, und schon gar nicht auf „Befindlichkeiten“.

Das alles auszublenden erscheint als die einzige Möglichkeit, um das Ruder herumzuwerfen, das schale Alte mit der Wurzel auszureißen und in die gänzlich neue Welt des Erfolgs vorzupreschen. Wie diese neue Welt aussehen soll, weiß man. Wie man hinkommt, weiß man schon weniger. Das Radikale soll diese Lücke überbrücken.

Ist das so?

Radikal anders?

Radikal im Wortsinn heißt: von Grund aus, vollständig, rücksichtslos, mit Härte vorgehend, eine extreme Position einnehmend (Brockhaus). Radikales ist also auf ein bestimmtes Feld bezogen, aus dem man sich mitsamt den Wurzeln herausreißen will, um gänzlich neu zu beginnen.

Man sagt dann: „In diesem Feld habe ich keine Wurzeln (mehr). Gerade da nicht.“ Aber aus diesem „gerade da nicht“ kommt viel Energie. Ist das nicht auch eine Verwurzelung? Eine ungewollte und deshalb sehr wirksame?

Das Blickfeld muss jetzt immer enger werden, damit sich Möglichkeiten, Alternativen und Informationen ausblenden lassen. Die Furcht, sich eine Blöße zu geben, wenn man auch nur den kleinsten Zweifel an der eingeschlagenen Richtung zulässt, verstärkt sich in diesem Prozess. Das Resultat ist rigide: Härte gegen sich selbst und andere.

Egal was geschieht, man sieht in allem denselben Grund, dieselbe Wurzel wirken: niemand außer einem selbst hat klare Sicht, alle lügen, man ist völlig allein und wird schließlich zum Opfer.

Das ist die krasse Variante. So oder etwas abgeschwächt kann sie in Unternehmen zu innerem Rückzug führen, zu Verweigerung, Illoyalität, Krankmeldung, Burnout, Mobbingvorwürfen, zu erbittertem Widerstand oder Kündigung.

Oder fokussiert anders?

Fokussieren bezeichnet das Zusammenführen divergierender oder paralleler Strahlen in einem Punkt (frei nach Brockhaus, der den Begriff nur physikalisch beschreibt). Im sozialen Feld eines Unternehmens fokussiert man sich auf einen Gesichtspunkt, beispielsweise die Kundenorientierung, und betrachtet Prozesse, Zusammenhänge und Projekte ausschließlich in ihrem Wirkungszusammenhang mit Kundenorientierung.

Temporäre Fokussierung kann einen Lern- und Entwicklungsprozess gut voranbringen. Die geschärfte Wahrnehmung verhilft zu neuen Erkenntnissen, aus denen man Veränderungen ableiten kann. Wichtig: im Bewusstsein halten, dass man mit Fokussierung anderes (temporär) ausschaltet!

 

 

Fokussiert anders, wenn Veränderung gelingen soll

Sie ahnen es vermutlich: Wir favorisieren im eigenen Team und in der Arbeit mit Kunden diese zweite Variante. In der Kunst des Zusammenarbeitens kommt sie in Sichtweisen, Werkzeugen und Übungen zum Ausdruck.

    Hier zwei Tipps zu Veränderung durch Fokussierung:

    1.  Die gewünschte Veränderung sollte ihre Identität aus dem angestrebten Neuen beziehen und nicht aus der Ablehnung des Bisherigen. Das schafft einen Rahmen.
    2. Damit trotz der Verkleinerung des Blickfelds auch Ausgeblendetes im Spiel bleiben kann, wird eine „Instanz“ (das größere Team, eine andere Arbeitsgruppe) eingeführt, die die Zusammenhänge im Blick behält. So kann man seinen Fokus beibehalten und gleichzeitig sicher sein, dass auch andere Sichtweisen genug Aufmerksamkeit bekommen.