Inneres Management #2: Lust auf Führen
Newsletter | September 2021
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Als Spezialisten für Führen und gutes Zusammenarbeiten begegnen wir manchmal bewusstem Nicht-Führen. In Form von Wegschauen, Wegducken, „Delegieren“ im Sinne von „betrifft mich nicht, kann jemand anderes machen“. Da wird etwas abgeblockt und in einem Nebelfeld versteckt, während im schlimmsten Fall eine ganze Organisation auf Führungsimpulse wartet. Wirkt hier „nur“ Lustlosigkeit? Oder sogar bewusster Rückzug? Klar ist, dass in einer solchen Situation flächendeckend allen die Lust auf Führen vergeht.
Führungslust lässt sich nicht anordnen, und Führungsunlust kann man nicht verbieten; beides wäre übergriffig.
Allerdings kann man Führungslust wecken und fördern. Und Unlust lässt sich transformieren, so dass die darin gebundenen Kräfte an anderer Stelle nutzbringend wirken können.
Aber wie macht man das? Einerseits indem man als Betroffene/r sich selbst führt und Beziehungen zu anderen gestaltet. Andererseits indem man auf den Kontext und die Strukturen, in denen geführt werden soll, einwirkt, um sie förderlicher zu gestalten. So hat die Lust auf Führen zwei Komponenten: Das innere Management der Führenden und die strukturellen und kontextbezogenen Bedingungen des Führens in der jeweiligen Organisation.
Persönlicher Einsatz lohnt sich, denn wer sollte führen, wenn Sie es nicht tun?
Gute Ergebnisse und dennoch Unlust
Hier die Erfahrung einer Führungsperson,
die in einem Unternehmen ein Spezialisten-Team im IT-Bereich führt – das Herzstück dieses Unternehmens. So sehr, dass ein Kollaps in diesem Bereich unternehmensweit alles lahmlegen könnte.
Die Führungsperson hat das Team und dessen Leistungen 10 Jahre lang auf- und ausgebaut. Ihre Verantwortung ist unangefochten, und auf die Verlässlichkeit und Leistungsfähigkeit ihres Teams können sich alle verlassen: Hier kann man mit jeder technischen Schwierigkeit umgehen, ist ständig in Bewegung, wird überall gebraucht. Eigentlich eine wunderbare Basis für tägliche Lust auf Führen und Zusammenarbeiten.
Und doch spürt die Führungsperson ein zunehmendes und nagendes inneres Rumoren. Keine Freude an der Verantwortung, keine Impulse, mit Führungskolleg*innen proaktiv zusammenzuarbeiten, keine Führungslust. Stattdessen Müdigkeit, Gereiztheit, Rückzug, Kampf mit etwas Bremsendem.
Lust ist etwas Starkes und Unlust auch
Wer Lust auf Führen hat, spürt im eigenen Inneren Begeisterung, Aufbruchsfreude, Kreativität. Man kann alles aktivieren, was man zur Verfügung hat. Ressourcen werden genutzt, man wird wirksam, bekommt Resonanz. Es entsteht etwas, das Freude macht und vielleicht sogar Glücksgefühle weckt.
Ebenso stark ist die Unlust: alles ist eher flach, fade, bleiern; man kann sich wie gelähmt fühlen, Veränderung ist unmöglich. Ressourcen sind nicht zugänglich, Beziehungen werden gekappt. Wie in einem Teufelskreis verstärken sich Unlust und Aussichtslosigkeit: Nicht der Hauch einer Lösung ist sichtbar.
Aber ohne die Unlust gäbe es auch die Lust nicht. Beide sind wichtig, beide haben etwas zu sagen, beiden kann man zuhören. Beide können einen weiterbringen und Veränderungen in Gang setzen.
Starke Kräfte brauchen inneres Management
Inneres Management dient dazu, eigene innere Strukturen zu entwickeln und fein à jour zu halten. Das gibt Halt und erlaubt Orientierung und Beweglichkeit.
Ohne innere Strukturen führen starke Kräfte wie Lust oder Unlust leicht in einen ZickZack-Modus. Da verpufft die Energie in Hin und Her oder Auf und Ab, bis gefühlt nur noch Sinnlosigkeit, Leere und Vergeblichkeit herrschen. Der beste Modus für Gelingen ist ein Flow, der aus zackigen Bewegungen einen geschmeidigen Verlauf macht.
Inneres Management erleichtert Flow; es kann trösten und ermutigen. Der Kurs lässt sich besser halten oder auch behutsam anpassen. Saubere Ziele zum Beispiel oder die Orientierung am Sinn helfen als innere Strukturen.
Ein solches Vorgehen wirkt sich im Alltag sofort auf das Zusammenarbeiten aus: auf die Beziehungen zu Einzelnen und auch auf das Agieren in komplexen und dynamischen Feldern. Resonanz und Austausch verstärken die Wirksamkeit und machen den verbindenden Spirit spürbar.
Wege aus der Unlust
Die IT-Führungsperson aus unserem Fall oben will ihre Unlust und das innere Rumoren als Signal zu einem doppelten Aufbruch nutzen: dem inneren Management Aufmerksamkeit geben und sich darüberhinaus mit dem Führungskontext der Organisation beschäftigen.
Als erstes stellt sie fest, dass sie ihrer eigenen Freude an gutem Gelingen und pfiffigen Lösungen gar keinen Stellenwert gibt. Noch weniger kann sie sich vorstellen, dass diese Freude für andere ein wichtiger Input sein könnte.
Dabei wird ihr klar, wie wichtig ihr eine zugewandte Führungskultur ist, in der man sich wohlfühlen kann. Dazu könnte sie eine Menge beitragen! Da liegt es auf der Hand, die Führungskultur des Unternehmens nicht nur passiv zu ertragen, sondern selbst daran mitzuwirken. Obwohl IT-Leute zu Führungskultur eher nicht gefragt werden.
Sie nimmt sich ganz praktische Schritte vor:
- Ab jetzt will sie immer volle Präsenz zeigen und deutlich machen, dass sie und ihr Team im Prinzip allen zur Verfügung stehen.
- Verstärkt will sie möglichst oft mit anderen zusammenarbeiten und nicht mehr in eine Position von Alleinsein abrutschen.
- Sie spürt, dass sie öfter mal zum Ausdruck bringen sollte, wie sie die eine oder andere Gegebenheit erlebt. Ohne dabei irgendjemandem irgendeine Schuld zuzuweisen.
- Sie will auch deutlich zum Ausdruck bringen, wo es aus ihrer Sicht hingehen muss – ohne dafür sofortige Zustimmung zu erwarten.
- Sehr deutlich will sie ihre eigenen frustrierenden Erfahrungen dazu nutzen, sich für Kontinuität und lebendige Strukturen im Unternehmen einzusetzen.
Dabei wird ihr klar: „Wenn ich führen will, muss ich als erstes dafür sorgen, mich führen zu lassen. Zum Beispiel von Prinzipien, die ich selbst bestimme und die zu beachten ich Lust habe. Und wenn die Unlust sich wieder meldet, habe ich die Chance auf neue Entdeckungen, von denen ich bisher nichts wusste.“
Bilder Ausschnitte aus Eva Hesse, Ohne Titel