Ist das kreativ oder kann das weg?
Newsletter | November 2021
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Kritisches und Kritik haben Hoch-konjunktur. Wer kritisiert, glaubt, recht zu haben – „das“ Recht zu haben. Dabei geht es häufig nicht darum, einen Diskurs zu beginnen, sondern das Kritisierte auszulöschen, ihm das Recht auf Existenz abzusprechen. Ab in die Tonne, die Kritik hat das letzte Wort, basta.
Beispiel: Ein hochrangiges Führungs-team, das sich einen ganzen Tag genommen hat, um an seinem Miteinander zu arbeiten. Themen waren Führen, Motivieren, neue Regeln; auch Momente von krassem Gegeneinander gab es. Aktuelle Fälle aus dem Alltag wurden betrachtet, und es kamen eine Menge Spannungen ans Licht. Der Austausch wurde immer wieder sehr lebhaft. Einige setzten sich aktiv für konstruktive Lösungen ein. Vieles deutete auf Fortschritt und Zustimmung hin.
Und dann kommt die Schlussrunde mit der Frage: „Was nehmt ihr am Ende dieses Tages mit?“ Etwa die Hälfte der Teilnehmenden antwortet mit „ich hätte mir gewünscht, dass …“, „meine Erwartungen wurden nicht erfüllt“, „dafür hätte auch ein halber Tag gereicht“, „ich sehe nicht, dass wir irgendwelche Ergebnisse umsetzen werden“, „war doch vorher schon klar, dass wir es wieder nicht schaffen würden“ …
Ein erfolgreiches Meeting? Nein und Ja.
Diversität nicht in die Tonne kloppen
Eigentlich war dieses Meeting schon ein Fortschritt, denn man konnte, was bisher nicht möglich war, etwas Persönliches sagen. Normalerweise tat man einfach so, als beschäftigte man sich nur mit Fakten.
Das Einbringen persönlicher Statements macht eine neue Tiefe von Arbeiten möglich. Da liefert man nichts Bestelltes, fertig Geplantes oder an die Erwartungen anderer Angepasstes ab. Nein, man bringt zum Ausdruck, was man erlebt und welche Wirkung es für einen selbst hat. Man weiß noch nicht, wie es weitergeht, sondern übernimmt Verantwortung dafür, dass es ein Ergebnis geben wird. Das kann ein aufregend großer Schritt sein.
Ein Team, das so arbeitet, erlaubt es, alle Sichtweisen in ihrer Diversität zur Sprache kommen zu lassen und auch zu hören. Das birgt gewisse Risiken. Führungspersonen, die den Mut dazu nicht aufbringen, müssen damit rechnen, dass es irgendwann jemand anderes tut. Als Führende/r sieht man dann erstmal nicht so gut aus.
Coolspot und kreativ werden
Wenige Wochen später im nächsten Meeting des Teams: In einem Moment, als die Wellen richtig hoch schlagen, Pros und Contras wie Bälle, allerdings lauter, hin und her fliegen, springt einer der Vorstände auf und verschafft sich Gehör für diesen Satz: „Wir haben hier etwas wirklich Gutes angefangen, daraus kann was werden. Haltet euch an mich, ich spüre da nämlich was!“
Überraschtes Schweigen. Ein fetter Coolspot! Ein Führender, der seinen Rang meisterlich zum Wohl des Ganzen genutzt hat. Die Statements der restlichen Teilnehmer sind nun auch wesentlich offener. Jeder zeigt sich; und wenn auch nicht alle mit allem einverstanden sind, so sind doch die meisten nachdenklich geworden und neugierig auf den weiteren Prozessweg.
Solche Momente gehen in den Mythos eines Teams oder Unternehmens ein, wenn man sie behutsam pflegt. Sie werden zu verbindenden Symbolen für die Kraft und Energie des WIR.
Das macht kreativ: Sicherheit für den offenen Raum
Kreativität ist eine künstlerische Qualität. Sie fügt Seltsames, Verrücktes, scheinbar Nichtzusammenpassendes – wie zum Beispiel Professionalität und Gefühle – zu etwas Sinnvollem und Nützlichem zusammen. Insbesondere träumerische Elemente, körperliches Empfinden und Zugang zu Essentiellem gehören dazu. Man lässt etwas geschehen, von dem noch niemand weiß, was daraus werden wird.
Wie wird solches Arbeiten möglich? Wie lässt sich in Meetings eine Atmosphäre fördern, die wirklich offen ist für Kreativität und persönliche Statements? Wie geht man mit ebenfalls persönlicher Kritik und Attacken um, die oft im Gewand scheinbar legitimer Erwartungen daherkommen?
Die überraschende Antwort: Man muss dem offenen Raum Sicherheit geben, wenn man Kreativität ermöglichen will. Wer dann diesen Raum mutig nutzt, trifft auf Wohlwollen (Mut bitte nicht mit Naivität verwechseln!). Wer etwas sagt wie „ich spüre da was“ oder auch „ich kann gerade gar nichts spüren“, kann sich nicht mehr verstecken. Für die Vorbereitung muss man sich Zeit nehmen: Mitstreiter finden, Rahmen und Givens klären, sich mit innerem Management vorbereiten und selbst Mut zeigen.
Strukturen für Kreativität
Die ideale Struktur für solche Meetings bietet das Arbeiten im Kreis. Schon eine gestaltete Kreismitte, die Einstiegsrunde und die Schlusssrunde erleichtern es, Wohlwollendes oder sogar Berührendes zu sagen – sich zu zeigen, statt sich zu verstecken. Für die Einstiegsrunde kann man vorher Bilder oder Gegenstände in der Kreismitte arrangieren, um Gedanken, Visionen, Gefühle und Träume einzuladen.
Auch professionelle Facilitation ist ein hilfreiches Strukturelement; besonders dann, wenn es schon verhakte Positionen gibt. Facilitation ist allparteilich, verfolgt keine eigenen Interessen und macht befreiende Coolspots leichter möglich.
Mit der Schlussrunde steigen alle aus dem Meeting aus und richten ihre Aufmerksamkeit auf das Erreichte. Jede und jeder nimmt aus einem Meeting etwas anderes mit; durch das Mitteilen am Schluss wird dieser Reichtum für alle sichtbar.
Diese Energie ist wertvoll. Es gibt Situationen, in denen wir als Facilitatoren den Teilnehmenden dazu raten, alles für mindestens 48 Stunden ruhen und reifen zu lassen. So kann man besser dem Zweifel begegnen, der unweigerlich kommen wird und alles zerreden will.
Die Aufmerksamkeit für Erreichtes erleichtert eine wohlwollende Sicht, die das entdecken möchte, was weiterbringt. Dabei werden Widersprüche nicht ignoriert oder marginalisiert. Ganz im Gegenteil: Spannungen und Konflikte werden für einen Transformationsweg als notwendige Impulse gebraucht. Man sollte sie keinesfalls in die Tonne kloppen.