Sanieren #3: Saubere Grenzen & Resilienz
Newsletter | August 2023
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Der Geschäftsführer eines langjährigen Lieferanten zog uns zur Seite und fragte leise: „Machen Sie sich keine Sorgen um unser Land?“ Obwohl wir selbst gerade nicht im Sorgen-Modus waren, spürten wir doch: die Frage kam von ganz tief innen.
Er erläuterte, was er meinte: die vielen Meldungen über das Erstarken politischer Kräfte, die unerträglich seien. Die Lawine der über-dimensional steigenden Produktionskosten. Die latente Sorge, die führenden politischen Akteure seien den aktuellen Herausforderungen gar nicht gewachsen. Kurzum: eine volle Ladung Ungewissheit, verstärkt durch ein Gefühl von existentieller Bedrohung.
Erschreckend für uns: Dieser Gesprächspartner ist jemand, der seine Kunden mit seiner Begeisterung und Lebendigkeit erreicht. Und er ist ein Chef, auf den sich MitarbeiterInnen auch in blöden Zeiten hundertprozentig verlassen können.
Als guter Fechter verließ er während unseres Austauschs geschmeidig den Sorgen-Modus, aber wir blieben zurück mit dem Gedanken: Wenn man so vielen blöden Dingen auf einmal begegnet, sind Resilienz & Durchlässigkeit entscheidende Größen.
Wie kriegt man das hin?
Saubere Grenzen
Grenzen sind dazu da, dass alles Besondere und Eigen-Artige seinen Raum hat, damit Identität möglichst ungefährdet aufblühen und gelebt werden kann. Nach dem Motto: Was rein gehört, ist da, und was nicht reingehört, bleibt draußen. Das gilt für Menschen, aber auch für Teams und Organisationen.
Sauber sind die Grenzen dann, wenn als erstes das Besondere und Eigen-Artige respektiert und gewürdigt wird. Das ist die Basis.
Im Hinblick auf Leben und Lebendigkeit erlauben saubere Grenzen dann, dass Beweglichkeit und Neugier, Verbindungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit und Gestaltungsfähigkeit lebendig bleiben können.
Saubere Grenzen ermöglichen also das Gegenteil von Starre: Sie machen es möglich, im Feld aktiv zu sein, sie erlauben Miteinander und lassen neue Impulse sich weiter fortsetzen.
Saubere Grenzen sorgen dafür, dass das jeweils Besondere und Eigen-Artige in seiner Identität bestehen kann. Und dass gleichzeitig veränderungs- und wachstumsorientierte Impulse ihre Wirksamkeit entfalten können.
Grenzen sind dann sauber, wenn sie sowohl sichern als auch Durchlässigkeit erlauben.
Durchlässigkeit macht Resilienz leistungsfähig
Unter Durchlässig-Sein an Grenzen verstehen wir, etwas zu wahren und zu würdigen – und gleichzeitig etwas anderes durchfließen zu lassen. Ohne Schaden und ohne dass etwas hängen bliebe.
Erreichen lässt sich diese erstaunliche Fähigkeit durch inneres Management. Wenn sie fein funktioniert, hat sie etwas Lässiges und Elegantes; wirkt souverän, professionell, gekonnt, und fühlt sich auch so an. Man kann zwischen mehreren Feldern oder Kanälen hin und her wechseln, ohne dass der Fluss der Hauptaktivität gestört würde.
Man hat Raum zum Spüren: Was empfindet man, wie fühlt es sich an? Und man braucht daraus nicht sofort eine Handlung abzuleiten, sondern kann alles in Ruhe reifen lassen.
Das alles zusammen macht Resilienz aus. Man spürt etwas, lässt es sich entwickeln, wird aber nicht weggespült, rausgerissen oder aus der Bahn gekickt. Man kann qualitativ wachsen.
Wenn es aber hakt und hängt…
Im „normalen“ Leben, bei unserem Gesprächspartner und den meisten von uns, läuft es nicht auf Anhieb geschmeidig. Wir ecken an oder verlieren den roten Faden aus den Augen. Oder etwas erschreckt so sehr, dass wir erstarren oder uns im Kreis drehen.
Aber auch solche Situationen kann man als Grenze verstehen, die einen weiterbringen kann. Wenn man es will und die eigene Wahrnehmung entsprechend schärft. Dann kann man erkennen: „hier ist zuviel“. Oder: „hier fehlt etwas“. Oder „langsam, vorher ist noch etwas anderes zu tun“ oder „entdecke, was gerade entdeckt werden will“.
Wenn man an eine Grenze stößt und die Kraft aufbringt, eins vom anderen zu unterscheiden und sie so zu einer sauberen Grenze zu machen, entsteht Raum zum Innehalten, zum Überlegen und bewussten Entscheiden.
Man kann sich selbst spüren, vielleicht in einen anderen Modus wechseln, mit Zeit und Raum souverän umgehen, sich nach Unterstützung umsehen.
Sanieren ist auch: Management für saubere Grenzen
Das Arbeiten an und mit Grenzen ist „eigentlich“ ein permanenter Prozess:
Auf einmal funktionieren Routinen und eingespielte Sichtweisen nicht mehr, und es kommt etwas anderes, auf das man gar nicht eingestellt ist. Die bisher geltenden Grenzen werden von neuen abgelöst, man spielt im nächsten Level. Dieses Hinkommen zu neuen Grenzen ist etwas Qualitatives. Man kann dann (manchmal auch sehr plötzlich) etwas anderes als bisher.
Wenn es so nicht funktioniert und etwas verschleppt oder vernachlässigt wurde, kann es schnell dazu kommen, dass nur noch Sanieren hilft.
Die Aufgabe ist dann, die Veränderung, die nicht organisch zustande kam, auf andere Weise zu erreichen. Wieder geht es darum, Routinen und Abläufe, die sich auf veraltete Grenzen bezogen, abzulösen. Um wieder Durchlässigkeit und Resilienz zu erreichen.
Das Wiederfinden sauberer Grenzen bringt Momentum
Wir kommen zurück zu unserem Gesprächspartner. Als er uns seine Frage stellte, wirkte er im Kern getroffen. Alles war zuviel. Die Welt war nur noch bedrohlich. Weg war das leichte Funktionieren, das sonst seine Freude am Unternehmersein spürbar macht. Er war völlig blockiert. Am liebsten hätte er vielleicht gebrüllt: „Das muss alles sofort aufhören!“
Wenn die Grenzen sauber funktionieren, kann all das Bedrohliche gespürt werden, aber dennoch bleiben die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zugänglich. Es wird nicht alles mit in den Abgrund des Opfer-Seins gerissen.
Saubere Grenzen können dazu anregen, nach Unterstützung Ausschau zu halten. Wahrscheinlich tat unser Gesprächspartner genau das, indem er uns ansprach. Um etwas anderes, vielleicht Tröstliches zu hören, das den Spin drehen könnte. Die blöden Gegebenheiten würden davon nicht verschwinden, aber man könnte daraus etwas machen:
„Die Kosten steigen zwar immer noch, aber unsere Qualität bleibt – wenn auch zu höheren Preisen.“ „Die Politiker machen dies und das, aber experimentieren wir nicht alle?“ „Ja, es gibt Kräfte, die es wirklich nicht geben sollte, aber irgendwas könnte man doch bestimmt dagegen tun.“
Damit verändert man auch die eigene Wirkung auf andere. Man kann zum Unterstützer werden und Momentum in eine andere Richtung aufbauen.
Unserem Gesprächspartner wurde klar, dass seine MitarbeiterInnen sich vermutlich die gleichen Sorgen machten wie er selbst. Er sah es daher als seine Aufgabe an, ihre Sorgen zu teilen und mit ihnen gemeinsam neue Ideen für entspanntes Miteinander und geschmeidige Routinen zu entwickeln.
Wegbeschreibung für das Selbst-Coaching: Inneres Management für saubere Grenzen